Lies Heilmann - Radierung

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Philipp Maurer
Vertixtes Chaos, geordnet

(Artikel über die Edition Jugendfrei im UM:DRUCK Nr. 20 / Juli 2012)

Mit ihrem 20. Blatt kehrt die Edition Jugendfrei in Um:Druck, bevor sie ab dem Blatt 21 international wird, zu ihren Anfängen in der Druckgraphik-Klasse von Georg Lebzelter und Sergius Kodera, damals noch in der wiener kunst schule, damals noch in der Lazarettgasse in Wien-Alsergrund, zurück. Aus dieser Klasse gingen alle bisherigen Edition-Jugendfrei-BeiträgerInnen (außer Ana Popescu, Edition Jugendfrei 19/2012) hervor, etliche davon haben erfolgreiche druckgraphische Karrieren gestartet.
Eine davon ist Lies Heilmann, die bereits vor mehr als zehn Jahren an der wiener kunst schule diplomiert hat und seither konsequent als Druckgraphikerin arbeitet. Zahlreiche Ausstellungen, u. a. im OÖ. Kulturquartier, treue SammlerInnen, der Um:Druck (siehe Beiträge in Um:Druck Nrn. 4/2007, 5/2007, 15/2010, 18/2011) und ich (schreibend und eröffnungsredend) begleiten ihren Weg. Lies Heilmann hat für die Edition Jugendfrei ein Blatt geschaffen, in dem sie ihre Arbeit der letzten Jahre zusammengefasst und zu neuer Klarheit und Harmonie gelangt.

Lies Heilmann widmet sich fast ausschließlich der Radierung, deren unterschiedliche Techniken von Strichätzung über Kaltnadel, vernis mou und Aquatinta sie meisterhaft beherrscht und in spielerischen Varianten einsetzt. Inhaltlich beschäftigt sich Lies Heilmann in den letzten Jahren, angeregt durch einen Kurs über Kulturmanagement, mit den kleinen Dingen der Ordnungssysteme im Büro, das trotz aller Computer nie ein papierloses sein wird. Sie bringt auf ihre Kupferplatten Klebeetiketten, Lochverstärkerringe, Tixostreifen, Gummiringerln auf - alles Dinge, die zum Haften und Halten, zum Ordnen und Archivieren von Briefen und Rechnungen und von unzähligen Kopien dieser Briefe und Rechnungen dienen. Und notfalls auch zum Restaurieren nicht nur der zerlesenen Reclam-Heftchen, sondern auch von eingerissenen Briefen und Rechnungen. Dabei ist Lies Heilmann, wie sie selbst zugibt, eigentlich eine Chaotin, und die Art, wie sie die Radiertechniken verwendet, ist auch gar nicht schulmäßig-ordentlich, sondern verspielt, zufallsverliebt, von Launen abhängig, experimentell im Sinne des Ausprobierens überraschender Wirkungen, spontan in der Arbeit und den Entschlüssen: gesetzt, geätzt, verpickt, vertixt (so ein Heilmannisches Wort fürs spezielle Gestaltungs- und Druckverfahren: auch in Wortspielen äußert sich der Spiel- und Experimentiertrieb der Künstlerin), gefärbt, gedruckt. Diese Art, mit der Radiertechnik umzugehen, entspricht ihrer Vorliebe für das Collagieren. Schon früh hat Lies Heilmann alte Bilder zu neuen fantasievollen Kompositionen zusammengefügt, so zum Beispiel eigenen Kaltnadelarbeiten und Inserate aus Zeitschriften der 1950er-Jahre zu einer Serie mit dem Titel "auch karl may war nie im wilden westen ..." Immer changieren diese Collagen ziwschen Chaos und Ordnung, Dissonanz und Harmonie. Unser Blatt, das ich zu den geordneten, harmonischen Blättern zähle, evoziert die heitere, charmante Wirkung durch die nun nahezu systematisch, jedenfalls genau in ihrer Wirkung kalkulierten Elemente.

Die braunen und schwarzen Flächen und der darunter liegende farblose Prägedruck schaffen eine schöne, harmonisch ruhige Tiefenschichtung, die uns zuerst abstrakt anmutet, aber bei näherem Hinsehen stellen sich Assoziationen an Buchrücken und Baumstämme oder an Blätter und Waldböden ein. Es ist diese Balance zwischen abstrakten Formen und konkreten Erinnerungsstücken, die das Blatt spannend und vielschichtig macht. Die kompositiorische Ausgewogenheit und Ruhe macht es uns möglich, konzentriert die Details im Blatt zu genießen, die sich aus den Materialien, die auf die Kupferplatte aufgeklebt wurden, ebenso ergeben wie aus den vorsichtig eingefügten Ätz- und Kratzspuren.

Und zum Schluss sei noch angemerkt: Für Lies Heilmann, die Druckgraphikerin mit dem Hang zum seriellen Unikat, wie sie sich selbst bezeichnet, ist es eine besondere Leistung, eine Auflage von 50 Drucken in derselben hohen Qualität zu produzieren. Dies ist ihr gelungen.

 

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(Lies Heilmann: Tixoquer. 2012, Radierung, 2 Farb-, 1 Prägeplatte 9,9 x 15,5 cm auf Papier 20,3 x 29 cm; Auflage 50 - Edition Jugendfrei)

 

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Philipp Maurer
Im Blaulichtmilieu
Zu Lies Heilmanns Arbeiten 2011

Lies Heilmann arbeitet schon seit vielen Jahren konsequent als Druckgraphikerin, die neue Wege auslotet und Experimente liebt. Während ihres Studium an der wiener kunst schule bei Georg Lebzelter und Sergius Kodera hat sie gelernt, die Druckgraphik als Verbindung von inhaltlicher Idee und gestalterischem Handwerk zu verstehen. Lies Heilmann widmet sich fast ausschließlich der Radierung, deren unterschiedliche Techniken von Strichätzung über Kaltnadel, vernis mou und Aquatinta sie meisterhaft beherrscht und in spielerischen Varianten einsetzt. Inhaltlich beschäftigt sich Lies Heilmann mit den kleinen Dingen der Ordnungssysteme im Büro, das trotz aller Computer nie ein papierloses sein wird.
Sie bringt auf ihre Kupferplatten Klebeetiketten auf, Büroklammern, Lochverstärkerringe, Gummiringerln, Tixostreifen – alles Dinge, die zum Haften und Halten dienen, mit denen man Ordnung schaffen, ein Archiv anlegen, Dokumente verwalten kann. Dabei ist Lies Heilmann, wie sie selbst zugibt, eigentlich eine Chaotin, und die Art, wie sie die Radiertechniken verwendet, ist auch gar nicht schulmäßig-ordentlich, sondern verspielt, zufallsverliebt, von Launen abhängig, experimentell im Sinne des Ausprobierens überraschender Wirkungen. Daraus ergibt sich die heitere, charmante, Wirkung der Heilmannschen kleinformatigen Radierungen der „koatitl“-Serie: Ordnungselemente chaotisch auf die Platten gesetzt, geätzt, verpickt, vertixt (so ein Heilmannsches Wort fürs spezielle Gestaltungs- und Druckverfahren), gefärbt, gedruckt. Chaos und Ordnung tanzen Tango.

In ihren jüngsten Arbeiten greift Lies Heilmann ein photographisches Verfahren auf, das seit 1842, seit den frühesten Tagen der Photographie, bekannt ist – oder besser: seit damals kaum bekannt ist und nur selten verwendet wird: die Cyanotypie. Auf ein Blatt Büttenpapier malt Lies Heilmann mit dem Aquarellpinsel eine lichtempfindliche Flüssigkeit, die sie nach alten Rezepturen selbst mischt; anschließend legt sie Gegenstände oder auf Transparentfolie ausgedruckte Negative (invertierte Bilder sagt die photoshop-Generation) auf das Papier und das Ganze in die Sonne. Der ultraviolette Anteil im Sonnenlicht färbt die Flüssigkeit, die tief ins Papier eingedrungen ist, dunkelblau; wo das Licht nicht hinkommt, bleibt das Papier unverändert und die Chemie wird unter der Dusche ausgewaschen. Das Bild erscheint positiv in den blauen Partien des Kupferdruckpapiers, das schon perfekt tiefdrucktauglich eingefeuchtet ist und nun zusätzlich mit Radierplatten bedruckt wird. Es entstehen neue, magische Effekte – verspielte Ordnung und heiteres Chaos im Blaulichtmilieu.

Nach dem Text der Eröffnungsrede am 4.Oktober 2011 in der Berufsvereinigung bildender Künstler Oberösterreichs

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